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2.5.2021 10:13:04

Vom Staatsversagen

Von Lucas Zeise

Beim Ansehen der ironischen Stückchen von »Alles dichtmachen« erfasst viele Leute – auch mich – die schiere Freude. Denn wir hören und sehen, was wir lange entbehrt haben: Eine adäquate Kritik an der ans Absurde grenzenden Pandemiepolitik der Regierung. Von welchem Standpunkt auch immer man ihre Leistung im Kampf gegen die Coronaseuche betrachtet, man wird ihr die Note mangelhaft geben. Die Lohnabhängigen und kleinen Gewerbetreibenden leiden darunter, dass Jobs wegfallen, dass ihre Einkommen schrumpfen, dass das Alltagsleben maßlos erschwert wird. Gar nicht zu reden von der täglichen zusätzlichen Bedrohung durch Tod und Krankheit im Zuge der weiter grassierenden Pandemie. Das ist beileibe keine auch nur annähernd vollständige Aufzählung der Übel, die durch die Maßnahmen der Regierung hervorgerufen wurden. Neu ist aber, dass die Maßnahmen nicht mehr als unvermeidliche Restriktionen zur Eindämmung der Krankheit hingenommen, sondern von mehr und mehr Menschen als ineffektiv, unverhältnismäßig, in sich widersprüchlich und ohne jede Perspektive kritisiert werden.

Neu ist auch, dass die Herrschenden, das Monopolkapital, unzufrieden werden. Im vergangenen Sommer waren sie noch zuversichtlich, diese Krise dank des beherzten Eingriffs des Staates gut zu bewältigen. Kanzlerin Merkel und ihr Gesundheitsminister prognostizierten, besser aus dieser Krise herauszukommen als die Konkurrenz. Das war die Botschaft, die den Regierten auf allen Kanälen verkündet wurde. Mit der in Deutschland und in seiner EU besonders schlecht verlaufenden Impfkampagne ist diese Geschichtsversion nicht mehr zu verkaufen. Schlimmer noch, die auf allen Ebenen sichtbar werdende Inkompetenz und mangelnde Kooperation geht nicht nur den einfachen Bürgern auf die Nerven, die Konservativen in der Politik reden von »Staatsversagen«. Die regierenden oder auch nur mitregierenden Politiker plappern nach. Frau Merkel findet, der Föderalismus müsse eingeengt werden, und produziert ein »Notbremse«-Gesetz, das den kleinen Spielraum der Länder, Kreise und Gemeinden einschränkt. Altkriegs- und -innenminister Thomas de Maizière fordert neue Notstandsgesetze. So wie der Staat vor einem knappen Jahr gelobt wurde, weil er die durch die Coronabekämpfung verursachte ökonomische Krise davor bewahrt hat, in eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale zu geraten, so wird er jetzt getadelt. Er kommt seiner Aufgabe aus Sicht des Monopolkapitals nicht mehr nach, nämlich die Bedingungen für die Verwertung des Kapitals zu sichern und besser zu gestalten als anderswo.

Die das feststellen, haben recht. Die im Zeichen des Neoliberalismus betriebene »Verschlankung« des Staates hat Spuren hinterlassen. Ohne staatlich organisierte Infrastruktur und ohne staatlich betriebenes Bildungs- und Gesundheitswesen ist auch das Monopolkapital nicht in der Lage, sich zu verwerten, geschweige denn sich der Konkurrenz anderer Kapitalverbände erfolgreich zu stellen. Deutlicher als in dieser Krise ist die Dysfunktionalität des am Profit orientierten Gesundheitssystems noch nie geworden. Nach der Finanzkrise von 2007 ist die Coronakrise die zweite große Krise des Neoliberalismus.

from https://www.jungewelt.de/img/450/152035.jpg


reposted by larrygreensky
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