Die Truppen des Heimatschutzministeriums verbreiteten Psychoterror, indem sie Menschen ohne Grund von der Straße weg in SUVs ohne Kennung verfrachteten und an unbekannte Orte brachten. »Das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen sollte als Taktik des Staatsterrors gegen abweichende Meinungen nicht unterschätzt werden«, riet der Aktivist und Soziologe Kenn Orphan am Dienstag im US-Magazin Counterpunch. Ziel sei es, dass die Betroffenen bis ins Mark spüren, wie ohnmächtig sie staatlicher Willkür ausgeliefert sind.
»Phantastische Arbeit«
Die Washington Post berichtete am Sonnabend über Mark Pettibone, einen jungen Mann, dessen Verschleppung durch ein ins Netz gestelltes Video bekannt wurde. Das Blatt zitierte seine Äußerungen gegenüber dem Sender Oregon Public Broadcasting, wie er »in den Van geworfen« und ihm die Mütze über die Augen gezogen worden sei. Er habe »nichts Illegales getan« und nie erfahren, warum er mitgenommen wurde. In einem Gebäude, von dem er erst später erfuhr, dass es das Bundesgericht war, sei er gefilzt und verhört worden. Als er nach einem Anwalt verlangte, sei er schließlich »ohne Erklärung und ohne Formalitäten freigelassen« worden.
Wie Aktivisten ermittelten, waren die Entführer Agenten der US-Zoll- und »Grenzschutzbehörde« CBP und handelten im Auftrag des amtierenden Heimatschutzministers Chad Wolf. Die New York Times schrieb, dass diese CBP-Kräfte der Spezialeinheit »Border Patrol Tactical Unit« (Bortac) angehören. Laut Selbstdarstellung wurde die Einheit 1984 geschaffen, »um Unruhen in den Internierungscamps der Einwanderungsbehörde« niederzuschlagen. Bortac sei »einzigartig wegen ihrer globalen Reaktionsfähigkeit«. Die Kompetenzen dazu habe sie sich bei »Schulungen und Operationen mit aus- und inländischen Polizei- und Militäreinheiten in den USA und auf der ganzen Welt« erworben, unter anderem »bei der Unterstützung von Operationen« im Irak.
Diese Agenten zogen dementsprechend gegen die Protestierenden vor, als würde es sich um bewaffnete Aufständische in einem Krieg handeln. »Mietwagen voller Männer in Uniformen, ohne Abzeichen, ohne Ausweise«, so schilderte es die Aktivistin Lilith Sinclair am Dienstag im Sender Democracy Now! und ergänzte, auch wenn es schon vor dem Einsatz der Bundesagenten jahrelang »schwere Gewalt« seitens der lokalen Polizei gegeben habe, sei die Bevölkerung nun zusätzlich »besorgt um ihre Sicherheit«, weil die Bundesagenten nicht einmal die simple Frage beantworteten, ob sie »Gesetzeshüter« seien oder nicht.
Trump wäre aber nicht Trump, würde er die Unterdrückung der Proteste nicht für den Präsidentschaftswahlkampf nutzen. Und so kündigte er an, Truppen wie in Portland auch nach Chicago und Seattle zu entsenden, wo es ebenfalls »Anarchisten, die unser Land hassen«, zu bekämpfen gebe. Die Agenten hätten in Portland »in drei Tagen eine phantastische Arbeit geleistet, eine Menge Leute geschnappt und ins Gefängnis gesteckt«.
Erstschlagstaktik
Als Trump Anfang Juni damit prahlte, die antirassistischen Proteste mit der Notstandskeule des »Insurrection Act« (Aufstandsgesetz) bekämpfen zu wollen, verweigerten ihm altgediente ranghohe Militärs die Gefolgschaft, denn die militärische Karte sollte nicht zu früh ausgespielt werden. So blieb es zunächst beim demonstrativen Einsatz der Nationalgarde gegen den zivilen Bürgeraufstand. Doch rund ums Weiße Haus brachte der Präsident Militärpolizei und undefinierbare »Green Men« in Stellung.
Über diese »verblüffende Militarisierung in der Hauptstadt« berichtete der Senders MSNBC am 5. Juni in einer Sondermeldung. In Washington seien »nicht identifizierbare Truppen« aufgetaucht, die »weder Dienstabzeichen trügen, noch der Presse sagten, wer sie sind oder wer sie bezahlt«. Später gestand US-Justizminister William Barr ein, dass es sich um ein texanisches »Special Operations Response Team« (SORT) zur Bekämpfung von Knastaufständen gehandelt habe.
Hochtrainierte Kombattanden wie die von Bortac oder SORT erscheinen, als seien sie aus einem Kriegsspiel des Pentagon an US-Militärakademien entsprungen. In diesen wurde die militärische Besetzung von US-Städten durchgespielt. Wie die investigative Plattform The Intercept am 5. Juni enthüllte, hieß das Planspiel »2018 Joint Land, Air and Sea Strategic Special Program« (JLASS). Teil des Szenarios: »Von Unzufriedenheit angetrieben« starten »antikapitalistische Extremisten der Generation Z« Mitte der 2020er Jahre in den USA eine »Zbellion« und »nutzen die Cyberwelt, um einen Aufruf zur Anarchie zu verbreiten«.
Die zentrale Lehre aus dem Planspiel lautet, je früher man auf dem »Schlachtfeld« dominiere, desto schneller verflüchtige sich das Problem, und man könne wieder »zur Normalität zurückkehren«. Zu ebendieser Erstschlagstaktik hatte US-Verteidigungsminister Mark Esper Anfang Juni in einer Telefonkonferenz geraten, nachdem der Oberbefehlshaber Trump einige Gouverneure wegen ihrer »schwachen Reaktion« auf die Floyd-Proteste angriffen hatte. Erst später war er gezwungen seine Äußerungen zu revidieren.